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Die Rechtsmedizin: Ihre Aufgaben und Arbeitsweisen Informationen aus erster Hand - Rosemarie Benke-Bursian

Bericht aus der Rechtsmedizin München

© Rosemarie Benke-Bursian

1) Definition und Aufgaben

Die Rechtsmedizin ist ein interdisziplinär ausgerichtetes medizinisches Fach. Unter diesem Begriff verzahnen sich die unterschiedlichsten medizinischen und naturwissenschaftlichen Fachbereiche wie Genetik, Infektologie, Radiologie, Pharmakologie, Psychatrie, Toxikologie, Traumatologie, Virologie, u.a.m. bzw. arbeiten je nach Fragestellung und Problemlösung Spezialisten aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen: Anthropologen, Bakteriologen, Biologen, Internisten, Orthopäden, Zahnmediziner usw. Ebenso findet ein regelmäßiger Austausch mit Juristen, Medizintechnikern und Wissenschaftlern statt, die zur Beantwortung von Fragen und der Entwicklung von neuen Techniken und Lösungen beitragen können. Nur durch diese interdisziplinäre Zusammenarbeit sind wirklich gute Ergebnisse zu erzielen. Die Kernaufgabe der Rechtsmedizin ist die Forensik, die Arbeit im Auftrag und Dienste der Rechtspflege. Als Forensiker beurteilen Rechtsmediziner Rechtsfragen unter Anwendung der verschiedenen medizinischen Kenntnisse. Die Aufträge dazu erhalten sie von den Ermittlungsbehörden oder vom Gericht. Rechtsmediziner führen dafür nicht nur Obduktionen durch, sie untersuchen auch lebende Personen, die Opfer von Gewalt wurden, sichern Spuren, erstellen Gutachten und Expertisen, führen Alkoholtests durch u.v.m. Forensik macht bei den meisten Rechtsmedizinischen Instituten jedoch nur einen Teil der Aufgaben aus, Forschung und Lehre sind zwei ebenso wichtige Arbeitsgebiete (siehe auch Punkt 3). Ob eine Obduktion durchgeführt wird, hängt zunächst vom Leichenbeschauer ab, das heißt dem Arzt, der vor Ort den Tod bescheinigt, meist der Haus- oder ein Klinikarzt. Der muss dabei zwischen drei verschiedenen Todesarten auswählen: natürlich - nicht natürlich - ungeklärt. Stellt er einen natürlichen Tod fest, wird der Leichnam zur Bestattung freigegeben. In den anderen beiden Fällen wird die Polizei eingeschaltet, die den Leichnam beschlagnahmen kann, um ihn in die Rechtsmedizin transportieren zu lassen. Ob tatsächlich obduziert wird, entscheidet der Staatsanwalt nach Faktenlage. Falls obduziert wird, werden bei Todesfällen mit Fremdverschulden keine Mühen und Mittel gescheut, um alle Fragen zu beantworten, die zur Beurteilung der Todesumstände und Todesursache beitragen. Das Budget des Staatsanwaltes ist diesbezüglich nicht gedeckelt. Zur Aufklärung eines Falls bedient sich die Rechtsmedizin daher auch sämtlicher Möglichkeiten, Geräte und Methoden aus Forschung, Wissenschaft, Technik und anderen Fachgebieten, die ihr nützlich erscheinen und adaptiert die Verfahren auf die eigenen Ansprüche. Vor allem wissenschaftlicher Fortschritt und technische Errungenschaften sind immer wieder neue und wichtige Quellen, um in der Rechtsmedizin noch genauer und eindeutiger zu Ergebnissen zu kommen. Beispiel DNA-Analysen: Sie sind mittlerweile so fein und sensibel, dass noch kleinste Spuren entdeckt werden, was so manchem zurückliegenden Fall nachträglich zur Aufklärung bringt. Andererseits ist diese hohe Sensibilität mittlerweile auch zum Risikofaktor für eine Kontamination geworden. Reinigungsversäumnisse und andere Flüchtigkeitsfehler können Fremd-DNA Spuren hinterlassen, die zu falschen Schlussfolgerungen / Ergebnissen führen. So entstand auch die jüngste Aufregung um den Fall Peggy, als DNA-Funde am Zollstock zu einer sensationsträchtigen neuen Spur führten, obwohl eine DNA-Verunreinigung an einem Zollstock nach fünf Jahren eigentlich keine DNA-Spuren mehr übertragen sollte. Die hohe Sensibilität der DNA-Analyse führt daher nicht nur zu neuen Ergebnissen, sondern auch zu neuen Sicherheitsanforderungen. So werden beispielsweise Spuren an einem Vergewaltigungsopfer nach Möglichkeit von weiblichen Mitarbeitern gesichert, da sich ihre DNA mit einfachen Methoden von der des Täters abtrennen lässt, während ein nachträgliches Herausfiltern von männlichen DNA-Kontaminationen viel aufwendiger ist. Obduktionen werden nicht nur zur Aufklärung einer Todesursache vorgenommen, sondern z.B. auch um den Ablauf einer Gewaltanwendung zu dokumentieren und dienen der Beweisführung vor Gericht sowie der Identifizierung von unbekannten Toten. Liegen entsprechende Hinweise auf die Identität des Toten vor, kann ein DNA-Abgleich mit DNA-Proben der vermuteten Person helfen. Vergleichs-DNA von möglichen Angehörigen kann ebenfalls deutliche Hinweise geben. Ohne Hinweise kommt man nur weiter, wenn die DNA bereits im Computer gespeichert ist, was allerdings nur der Fall ist, wenn die Person bereits strafrechtlich auffällig geworden ist. Der Computerabgleich selbst dauert nur wenige Sekunden, die Übereinstimmung mit einer gespeicherten DNA führt zu einer eindeutigen Identifizierung eines Toten. Auch andere körperlichen Merkmale, Zahnstatus, künstliche Gelenke, Implantate, Herzschrittmacher usw. können dazu beitragen, einen unbekannten Toten zu identifizieren. Dazu wird die Leiche nötigenfalls auch geröntgt und durchs CT geschoben. Eine besonders aufwendige und teuere Methode ist die Isotopenanalyse mit Hilfe der Massenspektroskopie, die nur in Anspruch genommen wird, wenn die anderen Methoden nicht zum Ziel führen (siehe Punkt 3). Da die Fragestellungen, die einer Obduktion zu Grunde liegen höchst unterschiedlich sind, müssen diese von den ermittelnden Behörden sehr genau formuliert wird, um zielgerichtet untersuchen zu können. Zur Veranschaulichung: Allein um alle testbaren chemischen Substanzen zu bestimmen, bräuchte es etliche Liter Blut - mehr als eine einzelne Leiche liefern kann. Daher ist es notwendig, sich auf die wesentlichen Fragen und Daten zu konzentrieren, die häufig aufwändig genug zu erschließen sind. Auf dem Seziertisch landen nicht nur Tötungsdelikte, sondern vielfach auch Todesopfer aus Verkehrsunfällen bzw. solche, deren Todesart unklar ist. Unter den etwa 30.000 „nicht natürlichen“ Todesfällen, die in Deutschland pro Jahr registriert werden, ist Suizid mit 30% die häufigste Todesursache. Tötungsdelikte sind dabei die Ausnahme (ca. 500), Morde noch seltener, auch wenn die Dunkelziffer der nicht erkannten Tötungsdelikte recht hoch ist. Sie liegt in Deutschland bei geschätzten 1200 bis 2400 Fällen pro Jahr. Vor allem bei älteren und alten, kranken Personen kann ein unnatürlicher Tod bzw. Tötungsdelikt übersehen werden, da der natürliche Tod zu selbstverständlich erscheint. Die Todesart zu bestimmen, erfordert eine gründliche Untersuchung und viel Sachkenntnis. Insbesondere, um Merkmale zu entdecken, die auf einen „nicht natürlichen“ Tod hinweisen, bei der äußerlichen Leichenschau jedoch nur schwer zu entdecken sind. Außerdem sollte der Leichenschauer umfassende Informationen über die zurückliegenden Krankheiten und akuten Beschwerden des Toten haben. Doch genau dies ist nicht immer gegeben, wenn ein Arzt zu einem Toten gerufen wird. Kreuzt dieser dann „Todesart natürlich“ an, bleibt die „nicht natürliche“ Todesursache im Verborgenen. Das Fach Rechtsmedizin ist kein Studienfach, vielmehr ist dies eine Spezialisierung, die sich an das abgeschlossene Studium der Humanmedizin anschließend. Diese Facharztausbildung dauert fünf Jahre und vermittelt Kenntnisse aus den verschiedensten Fachdisziplinen wie Pathologie, Psychiatrie, Anatomie, Toxikologie, Molekulare Genetik aber auch Sektionstechniken, die Bearbeitung bzw. Bewertung strafrechtliche Fragestellungen u.v.m.


2) Realität und Fiktion

In Kriminalromanen bzw. TV-Krimis, taucht immer wieder der Pathologe auf, der nach einem Tötungsdelikt die Leiche untersucht und obduziert. Selbst bei Berichterstattungen in den Medien werden die Begriffe Rechtsmediziner, Pathologe und Gerichtsmediziner bunt durcheinander gewürfelt und wie Synonyme verwendet. Das ist falsch. Die Begriffe Gerichtsmedizin und Gerichtsmediziner sind veraltet und entsprechen nicht mehr dem modernen Anforderungsprofil der Rechtsmediziner. Ein Pathologe ist zwar auch ein Mediziner, doch hat er eine andere Facharztausbildung und späteres Einsatzgebiet. Die Pathologie beschäftigt sich vor allem mit der Entstehung und Entwicklung von Krankheiten (Pathologie = die Lehre vom Leiden / der Krankheit). Entsprechend hat ein Pathologe vor allem mit lebenden Kranken zu tun, das heißt, er untersucht in erster Linie Gewebeproben und Flüssigkeiten, ob sie pathologische Veränderungen und Auffälligkeiten aufweisen und welche Krankheiten sich dahinter verbergen können. Pathologen sind meist in Krankenhäusern / Kliniken angestellt, und unterstützen dort die Diagnose und Therapie von Patienten. Mit Leichen haben sie kaum zu tun, auch wenn sie grundsätzlich Obduktionen durchführen können, z.B. zur nachträglichen Aufklärung über eine Krankheit oder wissenschaftlichen Forschung. Dies darf in Deutschland nur mit einer Einverständniserklärung des Patienten oder eines Angehörigen erfolgen und kommt daher eher selten vor. Die Arbeit des Pathologen in Kliniken endet in dem Moment, wenn eine Straftat vorliegt oder vermutet wird, denn Obduktionen im Rahmen von strafrechtlichen Fragestellungen darf er nicht vornehmen. In der Realität kommen Rechtsmediziner nicht häufig an einen Leichenfundort, um die Leiche dort zu untersuchen, ihre Arbeit beginnt üblicherweise, sobald der Leichnam im Rechtsmedizinischen Institut zur Obduktion bestimmt wurde. Dennoch kann es sein, dass sie nach der Obduktion eine Tatortbesichtigung vornehmen, um sich ein genaueres Bild zu machen oder weitere Spuren zu sichern. In Kriminalfilmen werden Angehörige häufig in die Rechtsmedizin bestellt, um dort die Leiche zu identifizieren. Das ist allerdings unüblich. Bei Toten, die in einer Klinik oder im häuslichen Umfeld gefunden werden, wird die Identität noch vor Ort festgehalten. In allen übrigen Fällen bedient sich die Rechtsmedizin diverser anderer Methoden, um die Identität festzustellen (siehe Punkt 1). Bei fremdländischer Herkunft des Toten kann es allerdings vorkommen, dass Angehörige sogar eingeflogen werden, um den Toten zu identifizieren. Im Münchner Institut für Rechtsmedizin kommt eine Identifizierung durch Angehörige - trotz der hohen Anzahl an Obduktionen (siehe Punkt 3) – höchst selten vor. Manche unbekannte Tote werden dennoch nie identifiziert, denn wenn es keine Vergleichs-DNA gibt, keine Vermisstenmeldung und auch die Isotopenanalyse nur eine regionale Zuordnung erbringt, ist die Rechtsmedizin an ihre Grenzen gekommen. Die Leichen, die zur Obduktion vorgesehen sind, werden in Plastiksäcken aufbewahrt. Sie liegen nicht, wie im TV häufig dargestellt, unter weißen oder grünen Tüchern in den Kühlfächern, schon gar nicht liegen sie mit Tüchern bedeckt auf dem Sektionstisch. Das wäre kontraproduktiv, denn Reinlichkeit ist beim Umgang mit den Leichen oberstes Gebot. Jedes zusätzliche Tuch birgt das Risiko falscher Spuren bzw. Kontamination mit Fremd-DNA, von der anschließend aufwendigen Reinigung und Desinfizierung mal abgesehen. Die Leichen liegen weder vor noch nach der Obduktion für längere Zeit auf den Seziertischen, um dort - wie gerne in Filmen dargestellt - in einem einsamen Moment von Angehörigen oder Fremden aufgesucht zu werden. Vielmehr werden sie von den Mitarbeitern für die Obduktion vorbereitet, seziert und unmittelbar im Anschluss wieder abtransportiert, woraufhin die gründliche Reinigung von Seziertisch und Umfeld beginnt. In vielen Krimis kommen Schusswaffen zum Einsatz. Nicht selten wird gleich zu Beginn das erste Opfer erschossen. Im wirklichen Leben sind aber gerade Tötungsdelikte mit Schusswaffen sehr selten. Schussverletzungen deuten viel eher auf einen Suizid hin. Auch Jagdunfälle sind häufiger als der Mord durch eine Schusswaffe. Die typische Fragestellung an die Rechtsmedizin bei erschossenen Personen lautet daher: Suizid oder kein Suizid? In Krimis sind nicht immer, aber häufig die Kriminalkommissare bei der Obduktion anwesend. In der Realität ist die Anwesenheit eines Sachbearbeiters der Kriminalpolizei nicht nur üblich, sondern sogar ausdrücklich erwünscht. So kann dieser auch umfassend über den Stand der Ermittlungen berichten, der wiederum wichtige Informationen für die Rechtsmediziner enthalten kann. Je besser und gezielter die Fragestellung und der Informationsaustausch zwischen Ermittlern und Rechtsmedizin, um so besser die Ergebnisse der Obduktion.


3) Die Rechtsmedizin in München – Zahlen und Fakten

Das Münchner Institut für Rechtsmedizin befindet sich in der Nähe des Sendlinger Tors in der Nußbaumstraße 26, inmitten einer Ansammlung diverser Kliniken. Das Institut ist als universitäre Einrichtung Teil der LMU (auch bundesweit sind Rechtsmedizinische Institute häufig einer Universität angeschlossen). Neben der Forensik ist daher die universitäre Lehre und Ausbildung ein wesentliches Aufgabengebiet der Rechtsmedizin. Ausgebildet werden nicht nur die Studenten der LMU, sondern auch die der TU und nicht nur Mediziner, sondern auch Studenten und Auszubildende aus anderen Berufen: Naturwissenschaftler, Juristen, Polizisten, Pflegekräfte, Mitarbeiter von Feuerwehr und Bundeswehr und andere mehr, die mit rechtsmedizinischen Fragen in Berührung kommen. Der dritte wichtige Aufgabenbereich der Münchner Rechtsmedizin ist die universitäre Forschung, in erster Linie allerdings zielgerichtete Anwendungsforschung, keine Grundlagenforschung. Die Ergebnisse aus diesen Forschungen - z.B. Alkohol- und Drogenforschung, Straßenverkehrsforschung – bilden unter anderem auch die Rechtsgrundlage für die Gesetzgebung und Gerichte. Das Rechtsmedizinische Institut in München ist bei der noch reltaiv neuen Isotopenanalyse, Vorreiter für ganz Deutschland. Die meisten Elemente besitzen mehrere Isotope, die regional und klimatisch bedingt in unterschiedlicher Häufigkeit vorkommen. Die Isotopenuntersuchung liefert eine sehr genau Zusammensetzung, wodurch sich dann eine regionale und klimatische Herkunft der unbekannten toten Person ableiten lässt. Mit etwas Glück lässt sich aus den Analysen der Aufenthaltsraum zum gesamten Leben einer Leiche ermitteln, das heißt, wo die Person ab Geburt aufgewachsen ist und gewohnt hat. In München liegen inzwischen Isotopenkarten zu vielen Regionen und Ländern vor (aus Staub, Bodenproben und Haaranalysen erstellt), doch gibt es immer noch Länder, zu denen keine Isotopenkarten existieren. Diese Methode stößt vor allem dann an ihre Grenzen, wenn eine Person ihren regionalen Lebensraum sehr häufig gewechselt hat. Verschiedene Gewebe liefern dabei ganz unterschiedliche Hinweise über den persönlichen geografischen Lebenslauf. Vor allem Haare, Fingernägel, Zähne und Knochen dienen als Hinweisgeber. Je nach Gewebe können Informationen aus der Kindheit (Zähne), lange zurückliegender Zeiträume (Knochen) sowie der Lebensumstände des zurückliegenden Jahres (Haare) gewonnen werden. Da diese umfangreiche Isotopenanalyse nur in München durchgeführt wird, werden Proben von entsprechend schwierigen Fällen aus dem gesamten Bundesgebiet bearbeitet, sogar aus Österreich und der Schweiz kommen Anfragen. Insgesamt werden etwa 15 Isotopenanalysen im Jahr durchgeführt. Das Institut in München hat etwa 100 Mitarbeiter und führt rund 2500 Obduktionen pro Jahr durch, was einen Schnitt von etwa zehn Obduktionen / Arbeitstag bedeutet. Der Einzugsbereich umfasst Südbayern von der österreichischen Grenzen bis in zu einer imaginären Linie ca. 20 Kilometer nördlich von Ingolstadt. Die Obduktionsrate in München und dem unmittelbaren Umfeld ist mit 7-8% verhältnismäßig hoch (deutschlandweit deutlich unter 5%; Vergleich Österreich: 30%). Auch in München kommen Angehörige nicht in den Obduktionsraum, weder zur Identifizierung der Leiche, noch um Abschied zu nehmen. Allerdings gibt es einen separaten Raum, in dem Angehörige Abschied nehmen können. Dafür wird die Leiche entsprechend hergerichtet, Blut und andere Spuren der Gewalt werden den Angehörigen nicht zugemutet. In München werden Tag und Nacht Leichen angeliefert. Für den Transport sind Bestattungsunternehmen zuständig, denn nur sie haben die Erlaubnis für einen Leichentransport. Dabei werden die Leichen über einen separaten Zugang direkt beim Kühlraum angeliefert, an den die Bestatter direkt heranfahren können. Für diese Tür haben die Bestatter einen Schlüssel, so dass sie unabhängig von der Anwesenheit eines Angestellten des Instituts - also auch nachts (durchschnittlich 4 Leichen / Nacht) und am Wochenende - Leichen in die dafür vorgesehenen Kühlfächer legen können. Dazu gibt es bei den Kühlfächern eine bestimmte Anordnung. Auf der einen Seite liegen die noch nicht obduzierten, auf der anderen die obduzierten Leichen. Zusätzlich gibt es eine Kennzeichnung, am jeweiligen Fach, da diese Ordnung nicht immer ganz strikt eingehalten werden kann. Leichen haben in München nur eine geringe Liegedauer, meist nur ein bis zwei Nächte. Solche, die von auswärts geschickt werden, werden üblicherweise direkt zum Obduktionstermin angeliefert und anschließend sofort wieder zurückgebracht. Nur sehr wenige Leichen liegen für eine längere Zeit dort. So ist es möglich die Vielzahl an Obduktionen durchzuführen, ohne dafür eine überdimensionale Anzahl an Kühlfächern bereit stellen zu müssen. Die Kühlfächer sind mit Glastüren versehen und können vier Leichen übereinander fassen, notfalls lässt sich eine fünfte auf den Boden legen. Einige Kühlfächer haben besondere Maße, da immer mehr Leichen übergewichtig bzw. überdimensioniert sind. Besonders wichtig ist die Kennzeichnung. Dabei steht der Name nicht nur bei der Leiche selbst, sondern auch am Fach. Jeden Vormittag entscheidet die Staatsanwaltschaft darüber, ob die bis mittags eingelieferten Leichen, obduziert werden oder nicht. Die Obduktionen werden ab ca. 13 Uhr bis in den späten Nachmittag durchgeführt. Ein typische Standardobduktion ist nach 45 Minuten bis 1 Stunde abgeschlossen. Nach einer Stunde kann der Rechtsmediziner i.d.R. sagen, ob eine Gewaltanwendung vorliegt oder nicht. Nach der Obduktion werden die Aufträge chronologisch abgearbeitet, wobei die Bearbeitung/ Auswertung normalerweise nicht länger als 14 Tage dauert. Die entnommen Proben / Asservate werden im Schnitt 2-3 Jahre aufbewahrt, es sei denn der Staatsanwalt ordnet etwas anderes an – sofortige Vernichtung oder auch längere Aufbewahrungszeit. Eine längerer Aufbewahrungszeit von Asservaten ist nur bei Tötungsdelikten üblich: ca. 15-20 Jahre.


4) Ablauf der Obduktion / Ausstattung des Sektionssaals (in München)

Der Sektionssaal hat drei Seziertische in voneinander abgetrennten Arealen, an denen gleichzeitig gearbeitet werden kann. Eine gerichtlich bzw. staatsanwaltlich angeordnete Obduktion muss laut Strafprozessordnung immer von zwei Ärzten durchgeführt werden, von denen mindestens einer ein Rechtsmediziner sein muss. In München besteht ein Team immer aus mindestens drei Personen, neben den beiden Rechtsmedizinern arbeitet üblicherweise noch ein Präparator mit. Nicht selten ist aber auch ein ein zweiter Präparator dabei und / oder weiterer Facharzt und / oder ein Arzt im Praktikum / Medizinstudent usw. Ebenfalls anwesend ist ein Kommissar, manchmal auch ein Polizeifotograf. Einer der Ärzte spricht die Befunde ins Diktiergerät, ein anderer untersucht und schneidet, die Präparatoren asservieren die Organe usw. Entsprechend schnell kann gearbeitet werden. Präparatoren sind für die Vorbereitung der Leichen zuständig – Kontrolle des Namens, waschen, Präparation der entnommenen Organe und Gewebe, Asservierung der Proben usw. Die Ausbildung zum Präparator dauert ca. 1 Jahr. Alle drei Seziertische sind gleich aufgebaut und ausschließlich für das Münchner Institut angefertigte Prototypen. Ihre Besonderheit liegt unter anderem in der Unterlage, auf welche die Leiche gelegt wird. Diese ist nicht an einem Stück, sondern besteht aus fünf Teilen: handliche Metallbleche, die sich leicht herausnehmen lassen, um in einem passenden Spülautomaten gereinigt und desinfiziert zu werden (Erhitzung auf 100 Grad). Dadurch ist der Reinigungsprozess besonders einfach und effektiv. Zur leichteren Reinigung sind am Seziertisch sämtliche Teile abgerundet. Über dem Seziertisch ist eine spezielle Lampe montiert, die den gesamten Tisch ausleuchtet. Sie besteht aus vielen einzelnen Leuchtblenden und streut diffuses Licht, das Tageslicht imitiert. Dadurch werden keine Schatten auf die Obduktionsfläche geworfen, Farben und Verfärbungen erscheinen in ihrem echten Farbmuster, was nicht nur für die Bestimmung von Hämatomen ein wichtiges Kriterium ist. Zum Ausleuchten bestimmter Bereiche, Körperhöhlen u.a.m. wird eine bewegliche Speziallampe verwendet. Rund um den Obduktionstisch verläuft eine Abflussrinne, in welche die Flüssigkeiten gespült werden können. Auch unter den mit Löchern versehenen Obduktionsauflagen läuft die Flüssigkeit sofort ab. Unterhalb des Tisches ist eine Absaugspülung angebracht, die alle austretenden Flüssigkeiten sofort entfernt. Während der Obduktion wird ein senkrechter Luftstrom von oben nach unten über den Seziertisch gedrückt, der den Geruch wegnimmt (den man aber nach einer gewissen Zeit nicht mehr wahrnimmt), und mögliche Keime reduziert. Üblicherweise arbeiten die Ärzte mit nur leichter Schutzkleidung, weil dadurch feineres Arbeiten möglich ist. Ergibt sich während der Obduktion jedoch ein möglicher Infektionsrisiko ziehen sie sich festere Schutzkleidung usw. an. Dabei stellt das früher so gefürchtete Leichengift (Cadaverin, übel riechender Fäulnisbestandteil) keine Gefahr für Menschen dar. Um sich damit zu vergiften, müsste man es verzehren, das Einatmen ist ungefährlich. Das Infektionsrisiko mit HIV und Hepatitis ist bei Lebenden größer als bei Toten, da die Viren auf lebende Zellen angewiesen sind und außerhalb eines Körpers nicht lange überleben. Das größtes Ansteckungsrisiko besteht durch die in Leichen nicht selten vorhandenen Tuberkelbazillen, weshalb viele Obduktionsärzte mit Tuberkulose angesteckt werden. Ebola und andere Seuchen stellen keine tatsächlichen Risikofaktoren im rechtsmedizinischen Alltag dar, da sie in der Rechtsmedizin praktisch nicht vorkommen. Sollte ein Patient im Krankenhaus an einer solchen Seuche sterben, gibt es meist keinen Grund für eine strafrechtliche Untersuchung und wenn doch, würden die Rechtsmediziner in das betreffende Krankenhaus fahren. Vor der eigentlichen Sektion steht die äußerliche Begutachtung an, die je nach Befund durchaus lange dauern kann. Allein die Hautbeschaffenheit und ihre Farbe kann viel Aufschluss über mögliche Gewaltanwendungen und die Todesursache geben. So weist die Haut der Leichen bei Kohlenmonoxidvergiftungen eine auffallend helle Farbe auf. Außerdem findet der Kontakt mit einer möglichen Tatwaffe auf der Haut statt, wes- halb die Begutachtung auch die Kopfhaut, Hautfalten und andere verdeckte Körperstellen wie Achselhöhlen, Ohrmuschel, Mundhöhle usw. umfasst. Nach der äußerlichen Begutachtung werden die drei Körperhöhlen geöffnet: Schädel, Brust, Bauch (gesetzlich vorgeschrieben). Entnommene Organe werden gewogen, ihre Gewichte auf einer kleinen Tafel unterhalb vom Obduktionstisch festgehalten. Das Organgewicht liefert wichtige Hinweise auf mögliche Veränderungen und sogar die mögliche Todesursache. So gilt beim Herzen ein Gewicht ab 500g als kritisch und kann bereits die Todesursache sein. Die meisten Obduktionen liefern nach der Routineuntersuchung alle notwendigen Daten, um daraus Ablauf, Todeszeitpunkt und Todesursache zu ermitteln. In einzelnen Fällen aber kann eine Obduktion aber 3-4 Stunden, ja selbst 12 Stunden dauern. So ist der Nachweis eines Erstickungstodes durch ein weiches Kissen und ähnliches extrem schwierig. Häufig werden Erkenntnisse nur über das Ausschlussverfahren gewonnen. Aufwendig ist auch die Präparation von Stichkanälen. Liegen beim Opfer viele Einstiche vor, wird jede einzelne Wunde separat beschreiben, vermessen und präpariert. Der Stichkanal sagt viel über das Tatwerkzeug aus. Gibt es scharfe Wundwinkel, oder sind die Wunden ausgefranst? Üblich sind Küchenmesser, die einen Stichkanal mit nur einem scharfen Wundwinkel verursachen. Sticht ein Täter mehrmals zu, bricht nicht selten die Klinge ab und der Täter sucht sich ein neues Messer / Stichwerkzeug. Bei mehr als 5 Stichen geht man von einer emotionalen Beteiligung aus. Authentischer Fall: mehr als 50 Stichverletzungen, nur zwei davon waren tödlich. Wurde das potentielle Tatwerkzeug sicher gestellt, kann die Rechtsmedizin allerdings nur feststellen, ob es es dieses Messer sein kann, nicht aber den Beweis liefern. Dazu müssen anderen Spuren mit beitragen. Im Obduktionssaal der Rechtsmedizin in München ist in einer Glasvitrine eine umfangreiche Schädelsammlung für Forschungs- und Vergleichszwecke mit den unterschiedlichsten Schädelverletzungen und Schädelveränderungen zu finden. Ebenfalls als Anschauungsobjekt dient ein komplettes Skelett. In einer weiteren Vitrine lagern Schädel von unbekannten Toten, Schädel, die nicht zugeordnet werden konnten und auch solchen, die nie freigegeben wurden. Sie zeugen davon, dass trotz aller Fortschritte, Techniken und ausgeklügelter interdisziplinären Zusammenarbeit auch in der heutigen Rechtsmedizin manche Opfer durchs Raster fallen und sie sind Mahnmale, nie aufzuhören nach der Wahrheit zu suchen.


Die Mörderischen Schwestern danken Herrn Prof. Dr. Graw von der Rechtsmedizin München für die umfassenden Informationen.

http://www.med.uni-muenchen.de/studium/weiterbildung/trainingskurse/team/graw.html

http://www.rechtsmedizin.med.uni-muenchen.de/institut/einfuehrung/index.html

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